Fortschritt oder Rolle rückwärts?

Euromaidan-Demos in Kiew
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Die Frauen des Euromaidan: Aktivist/-innen in Kiew

Anti-Gender-Bewegungen haben Aufwind in Ost- und Mitteleuropa: Bei einer öffentlichen Diskussion am 29. September 2014 schilderten Feministinnen die Situation in ihren Ländern.

Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichberechtigung für Frauen und Mitglieder der LGBTI Community sind nicht mehr selbstverständlich in Europa – im Gegenteil: Zunehmend einflussreiche, erzkonservative Bewegungen stellen bisherige Erfolge und Ziele der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in Frage. Das gilt in vielen Ländern innerhalb der Europäischen Union und mehr noch im Osten und am Rande Europas.

Aus diesem Anlass trafen sich Expert/innen und Mitarbeiter/innen der Heinrich Böll Stiftung aus zehn ost- und mitteleuropäischen Ländern am letzten Septemberwochenende zum Vernetzungsworkshop: Um gemeinsame Strategien für eine gleichberechtigte Gesellschaft zu entwickeln, reisten Gäste aus Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Ukraine, Belarus, Russland, Armenien, Georgien und Serbien nach Berlin. Einige der feministischen Stimmen präsentierten ihre Positionen am 29. September in einer öffentlichen Diskussionsrunde.

Zwar wiederholen sich die Argumente gegen die Gleichberechtigung und für das Festhalten an geschlechtlichen Hierarchien und starren Geschlechterrollen immer wieder – wer sie einbringt und inwieweit Gleichberechtigung für Frauen und sexuelle Minderheiten akzeptiert wird, unterscheidet sich aber in den entsprechenden Ländern. Dies konstatierten die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion zum Thema Geschlechterverhältnisse im Osten Europas.

Rückschritte in der Slowakei

Dabei führte Zuzana Maďarová aus der Slowakei mehrere strategische Instrumente an, die Gegner der Gleichberechtigung nicht nur in der Slowakei, sondern auch in anderen Ländern verwenden. Maďarová promoviert zum Thema „Frauen in der Politik“ und ist Mitglied der feministischen NGO „ASPEKT“ in der Slowakei.

Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Argumenten für Gleichberechtigung würden Ängste vor vermeintlichen Feinden geschürt, so Maďarová. Das Streben nach einer gleichberechtigten Gesellschaft werde als Ideologie verteufelt, deren Ziel die Zerstörung der christlichen Wertebasis sei. Folge sei, so die Erzkonservativen, eine Homosexualisierung der Gesellschaft, die die Zukunft der Familien und der Kinder bedrohe. Ein Verbot homophober Äußerungen werde als Zensur gebrandmarkt, die an Sowjetzeiten erinnere. Außerdem, so Maďarová, würden Aktivisten für Gleichberechtigung im Internet an den Pranger gestellt und ihnen kriminelle Aktivitäten unterstellt.

Maďarová beschrieb, dass in der Slowakei zudem die Ernüchterung über die EU und soziale Unsicherheit ausgenutzt werden. Die EU werde als Akteur dargestellt, die den Menschen die Gleichberechtigung unter den Geschlechtern von oben herab aufzwinge. Bezüge auf internationale Standards seien für große Bevölkerungsteile sehr abstrakt. Konkret und näher dagegen sei die eigene Familie. Erzkonservative NGOs präsentierten sich als Graswurzelbewegung mit frischen Gesichtern, die zuvor in der Öffentlichkeit überwiegend unbekannt waren. Erfolg hätten sie vielfach unter jungen Leuten.

Laut Maďarová schlage sich diese Stimmung inzwischen in der Politik nieder. So sei zum 1. September eine Verfassungsänderung in Kraft getreten, der zufolge die Ehe explizit als eine Beziehung zwischen Frau und Mann beschrieben wird. Eine Petition über ein Referendum zum besonderen Schutz der heterosexuellen Ehe hätten 400.000 Bürger unterschrieben – so viele wie nie zuvor bei einer Petition in der Slowakei. Außerdem sei die Ratifizierung der Konvention von Istanbul auf 2016 verschoben worden, berichtete Maďarová. Über die besagte Konvention des Europarates verpflichten sich Staaten, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen.

Maďarová wies aber auch darauf hin, dass die oberflächliche Polemik der Gleichberechtigungsgegner Ansatzpunkte biete, um sich dagegen zu wehren: Dem Schüren von Ängsten könne man mit sachlicher Argumentation entgegenwirken.

Folklore und Sexismus in der Ukraine

Auch Tamara Zlobina aus der Ukraine sah die Lage nicht ausschließlich pessimistisch. Zlobina kooperiert als Gender- und Kunst-Expertin mit internationalen Magazinen und NGOs.

In der gegenwärtigen Krise in der Ukraine könnten auch positive Impulse für Gleichberechtigung entstehen, kommentierte Zlobina. So habe Präsident Petro Poroschenko im US-Kongress nicht nur von den Männern, sondern auch von den Frauen gesprochen, die sich für die Freiheit der Ukraine einsetzten. Zudem wolle sich Poroschenko mehr für Frauen in der Politik einsetzen. Ob der Präsident dies ernst meine oder es aus Opportunismus gegenüber der Europäischen Union tue, sei dahingestellt, so Zlobina. Immerhin könne seine Rhetorik aber zu einem Umdenken in der Bevölkerung beitragen.

Der vorige Präsident Viktor Janukowitsch und seine Mitstreiter hätten dagegen noch ganz offen sexistische Äußerungen verwendet. Auch die ehemalige Ministerpräsidentin und derzeitige Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko habe sich nie für Frauenrechte eingesetzt. Aus Kalkül habe Timoschenko vor Jahren ihr wenig attraktives Image als Geschäftsfrau aufgegeben. Mit blondem Haarkranz und folkloristischer Kleidung habe sie sich dem von der slawischen Mythologie inspirierten Klischee der Frau als Berehynia, als Beschützerin von Heim und Herd, hingegeben. Dass Timoschenko nun die in Russland inhaftierte Pilotin Nadeschda Sawtschenko an die Spitze ihrer Liste für die Parlamentswahl gesetzt habe, erfolge ebenfalls aus reinem Kalkül.

Zlobina sprach von gemischten Signalen, die von der Maidan-Bewegung und den Kämpfen in der Ostukraine ausgingen. So hätten die Medien beim Maidan-Aufstand die beiden in der Ukraine verbreiteten Klischees über Frauen reproduziert: Einerseits seien sie als Unterstützerinnen an den Kochtöpfen zu sehen gewesen und andererseits als "Barbies", die sich desertierenden Polizisten als Braut anboten. In Wirklichkeit jedoch hätten die Frauen auf dem Maidan vielfältige, verantwortungsvolle Aufgaben übernommen.

Auch bei den Kämpfen in der Ostukraine übernähmen Frauen auf beiden Seiten widersprüchliche Rollen, so Zlobina. Es gebe Kämpferinnen in den Reihen der Separatisten, was der orthodoxen, mit "Neurussland" verbundenen Vorstellung von den Geschlechterrollen widerspreche. Auf der anderen Seite der Front kämpfe beispielsweise eine bekannte Feministin. Sie wiederum breche aus patriotischen Motiven das Prinzip vom friedlichen Kampf um die Menschenrechte.

Orthodoxe Kirche als politischer Akteur in Georgien

Welche Folgen der Krieg 2008 zwischen Russland und Georgien auf die Gesellschaft hatte, darüber berichtete unter anderem die georgische Menschenrechtsaktivistin Anna Arganashvili. Die Psychologin und Menschenrechtsaktivistin arbeitet für die NGO „Partnership for Human Rights“ und kümmert sich dabei insbesondere um benachteiligte Frauen.

Die Menschen hätten sich im Krieg als Schachfiguren in einem Spiel empfunden, das sie nicht hätten beeinflussen können. Dies habe ein Gefühl des Ausgeliefertseins ausgelöst, so Arganashvili. Es sei neben Armut und Perspektivlosigkeit ein Grund dafür, dass die Mehrheit der Bevölkerung der erzkonservativen orthodoxen Kirche Georgiens folge. Deren Patriarch Ilia II. genieße das höchste Vertrauen und Ansehen im Land. Die Kirche sei so stark, dass keine Regierung gegen sie agieren könne, auch, wenn sie westeuropäische Werte und eine Annäherung an die EU propagiere. Besonders ärgerlich sei, so Arganashvili, dass die Kirche Einfluss auf die Schulausbildung nehme, ohne dass die Regierung einschreite.

Arganashvili nannte aber auch ein Beispiel dafür, wie gut gemeinte Arbeit von NGOs zu ungewollten Ergebnissen führen kann: So habe eine Organisation in einem Dorf Südgeorgiens die Häuser an die Wasserversorgung angeschlossen. Nach kurzer Zeit seien jedoch alle neu angebrachten Wasserhähne in den Häusern zerstört gewesen. Wie sich herausgestellt habe, hatten die Frauen es getan. Das Wasserholen sei für sie die einzige Möglichkeit gewesen, ihre Häuser zu verlassen und mit anderen Frauen in Kontakt zu kommen.

Radikalisierung im Nordkaukasus

Auf einem ähnlich niedrigen Niveau der Gleichberechtigung leben viele Frauen im Nordkaukasus. Viele Freiheiten, die in den neunziger Jahren durchgesetzt werden konnten, würden den Frauen inzwischen wieder verwehrt, erzählte Janette Akhilgova. Sie leitet die lokale NGO „Resource Center ´Development`"“ in der Teilrepublik Inguschetien.

So dürfe man in Tschetschenien öffentliche Gebäude nur noch mit Kopftuch betreten. Auch verwendeten die Führer in der Region eine immer radikalere Rhetorik. In den Nordkaukasus-Republiken gelte föderales, regionales und religiöses Recht. Auf Frauen werde aber immer jeweils das Recht angewandt, das sie am meisten einschränke. Insbesondere bei häuslicher Gewalt hätten Frauen angesichts der tief verwurzelten traditionellen Normen so gut wie keine Chance auf Wiedergutmachung. Allerdings gebe es in Tschetschenien ein gut funktionierendes Netz an NGOs. Wenn sich eine Frau scheiden lassen müsse und dadurch Gefahr laufe, ihre Kinder und ihren Besitz zu verlieren, leisteten verschiedene NGOs auf allen Gebieten Unterstützung.

Im Ganzen ergab sich in der Veranstaltung das Bild, dass Fortschritte hinsichtlich der Gleichberechtigung unter den Geschlechtern gefährdet sind und an einigen Stellen bereits wieder zurückgenommen werden. Jetzt gelte es, dem zunehmenden Rechtspopulismus und Erzkonservatismus in Europa gemeinsam Einhalt zu gebieten.